Wie ein kleiner, afrikanischer Apfel mich zum Weinen brachte

Es ist Freitag. Die nächtliche Kälte macht mir sehr zu schaffen. Lange Hose, Strümpfe, lang ärmlicher Pullover, 2 Decken halten einigermaßen warm. Aber das Aufstehen lässt all die angesammelte Nachtwärme in wenigen Sekunden verschwinden. Einziger Lichtblick ist der Kaffee. Ich bringe mir immer eine kleine Dose Kaffee mit und habe nun im Netz kleine Einweg-Tassenfilter gefunden. Ideal für solche Reisen. Abwechselnd kochen wir den Kaffee, heute bin ich dran und verschwinde erstmal wieder mit der Tasse in mein Bett.



Es ist schon spät und wieder wenig Zeit zum Frühstücken. Also schnell auf die Hand ein Marmeladen-Toast und ab ins Auto. In Namibia sind seit letzter Woche für 2 Monate Winterferien und nicht nur die Schulen, auch die Kindergärten werden geschlossen! Auch unser Kindergarten darf nicht öffnen. Das bestimmt hier so die Regierung. ABER! Wir werden trotzdem 3 Mal in der Woche unsere "Suppenküche" öffnen, denn Hunger macht keine Ferien.

Heute wollen wir die Suppenküche erstmals in den Ferien öffnen. Wir vermuten, dass nicht nur unsere Kindergartenkinder, sondern auch deren Geschwister (die ja sonst in der Schule sind) kommen werden. Deshalb haben wir gestern etwas mehr Lebensmittel als üblich gekauft. Und unsere Vermutung bestätigte sich.


Schon gegen 10.00 Uhr stehen mehr als 50 Kinder auf unserem Grundstück. Elifas ist seit 8.00 Uhr hier und hat die ersten Vorbereitungen getroffen. Eigentlich wollte er Wasser holen gehen, aber der Wasserchip ist leer und muss aufgeladen werden.



 
7 kg Reis, 7 kg Kartoffeln und 2 kg Möhren können verarbeitet werden. Aus den Kartoffeln, Möhren und einem braunen Soja-Instantpulver wird hier eine Art Soße gekocht.



 
Toini und ich setzen uns in das Auto und fahren in die Stadt, um den Wasserchip aufzuladen. In den Townships gibt es kein Wasser-, Abwassersystem. Die Regierung hat vereinzelt Trinkwasserstellen geschaffen.



Mit einer Art Magnetstift, der gegen Geld aufzuladen ist (25 NAD/Monat sind umgerechnet 1,50 €), holt man in 25 Liter Behälter Wasser und transportiert das in Schubkarren. Dies machen in den meisten Fällen die Kinder. 25 Liter sind 25 Kilo! Die Kleinen haben oft bis zu 3 Kanister in der Karre. Für unser Kinderhaus holt Elifas täglich das Wasser. Hände waschen, kochen, Geschirr abwaschen ... er braucht durchschnittlich 500 Liter in der Woche!!! Wir denken über einen Wassertank nach. Dazu muss ich aber erst "Namwater" anschreiben, ob sie bereit wären, uns 1x im Monat mit Trinkwasser zu versorgen. Zu Hause denke ich oft daran, wenn ich den Wasserhahn aufdrehe, wie gut es uns geht.

 
Zum Glück haben wir heute ein Auto und können so bequem Wasser holen. Das bringen wir den beiden Köchen schnell vorbei.

Ich habe mich mit Silke in einem Cafe in der Stadt verabredet. Sie bringt mir noch die letzten Abrechnungsbelege mit und wir trinken eine leckere selbst gemachte Limonade. Toini, die ich mitgenommen habe, bestellt sich voller Freude einen Tee. Ins Gespräch vertieft sehe ich nicht, dass sich Toini 10 Sticks Zucker in die Tasse macht. Ich gucke entsetzt und sie strahlt es weg, mit einem: It's very very good!"


Beim Verlassen des Cafés stecke ich die restlichen Zuckersticks vom Tisch in meine Tasche und gebe sie Toini später im Auto mit einem Augenzwinkern. Sie zwinkert zurück und alles ist gesagt! Es ist mittlerweile 12.00 Uhr. Die Köche brauchen noch ein wenig. Es dauert sehr, sehr lange, bis das Wasser in den Töpfen zum Kochen kommt. Das hat Enrico unterschätzt und versteht nun, warum Elifas eigentlich um 9.00 Uhr mit dem Kochen beginnen wollte. Es werden immer mehr Kinder!
Ich setze mich mit einigen Kindern hinter unsere Hütte in den Schatten.


 
Es ist immer eine gute Gelegenheit zum besseren Kennenlernen. Ich erfahre, dass in unserem Kindergarten vier verschiedene Sprachen gesprochen werden und dass sich die Kinder untereinander normalerweise gar nicht verständigen können. Deshalb versucht Toini und Johanna ihnen die englische Sprache zu lernen, als kleinsten gemeinsamen Nenner. In der Schule wird hier auch hauptsächlich englisch gesprochen. Der Platz füllt sich immer mehr und wir müssen die kleinen von den großen Kindern trennen. Unsere Kindergartenkinder setzen wir auf unsere Bänke, die großen Schulkinder müssen eine Schlange bilden. Zuerst bekommen unsere Kindergartenkinder, dann die kleinen Geschwister, später die großen.



Ich hatte 100 kleine Äpfelchen gekauft, die wollte ich am Tor jedem Kind beim Nachhausegehen in die Hand drücken, um eine Übersicht zu haben, wer schon einen Apfel erhalten hat. Als ich mit der Schüssel und darin 90 Äpfel an das Tor gehe, stürmen plötzlich alle Kinder hinter mir her. Eine Mutter greift in einer sekundenschnellen Reaktion ein, scheucht alle Kinder auf das Grundstück zurück und schaut mich fragend und etwas ungläubig an. Ihr Blick sagt mir alles. So geht das also nicht! Sie will wissen, wie viel Äpfel das sind und meinte, dass es nicht reichen wird. Ich ließ mir ein Messer bringen, teilte die schon sehr kleinen Äpfel noch einmal in 2 Hälften und die Frau öffnete das Tor nur einen Spalt, damit jedes Kind einzeln unser Grundstück verlassen konnte. Die letzten Stunden hier Vorort waren für mich sehr emotional und das war der Tropfen auf dem heißen Stein. Ich musste weinen, weil diese Kinder wegen eines halben, kleinen Apfels so außer Kontrolle gerieten. Wie surreal das hier manchmal ist.
 







Es ist mittlerweile fast 15.00 Uhr bis die letzten Kinder so nach und nach nach Hause gehen. Alle Töpfe sind leer, die letzten 10 Äpfel habe ich an Elifas, Toini und Johanna verteilt. Enrico und mir wird klar, dass wir noch gar nichts gegessen haben. Aber, wir müssen uns noch um den kleinen Lucas kümmern. Schließlich haben seine beiden Brillen einen weiten Weg hinter sich.




 
Aber für ihn ist eine Brille etwas völlig Fremdes und mir wird bewusst, dass ich hier noch nie ein Kind mit einer Brille gesehen habe. Und weil es sich für dieses Außenseiterkind fremd anfühlt, zerrt er die Brille immer wieder von der Nase und wird fast ein wenig aggressiv. Wir beschließen seine Mutter für Montag einzuladen, vielleicht schafft sie es, Lucas zu überzeugen und so lassen wir die beiden Brillen erst mal wieder in die Tasche verschwinden.

Bevor wir ins Wochenende gehen, besprechen wir den kommenden Montag und stellen fest, dass wir mehr als 150 Kinder glücklich gemacht haben. Abwaschen, Saubermachen und Aufräumen will Elifas alleine und in Ruhe erledigen. Wir fahren Toini und Johanna schnell nach Hause und Enrico besucht noch einmal einen einheimischen Markt in den Townships, einen Tante-Emma-Laden bis an die Decke voll gestellt. Aber hier gibt es preiswert große Töpfe. Wir brauchen unbedingt noch einige Küchenutensilien. Das hat heute Enrico festgestellt, der Topf ist eines davon.

Das Wochenende ist Freizeit. Juchhu. Wir fahren in ein 130 km entfernt liegendes Camp. Mitten in der Natur. Das haben wir uns verdient.