Zuckertütenfest ohne Zuckertüten

Nun bin ich wieder gut zu Hause angekommen. Es ist Sonntagfrüh, ich liege mit einer Tasse Kaffee in meinem kuscheligen Bett und fange nun an, die letzten Tage zu verarbeiten, entwickele nun im Kopf all die Fotos, die ich gemacht habe. Ein paar "richtige" Fotos und Videos vom letzten Tag, dem Donnerstag, habe ich euch ja bereits geschickt. Hier nun noch ein paar ungeordnete Gedanken zu dem "Zuckertütenfest" wie es hier in Deutschland heißt. Es ist dort anders und ähnelt ehr einer Konfirmation/Jugendweihe. Die angehenden Schulkinder bekommen diese Talare mit Hut angezogen.




Das allein bringt schon eine besondere Stimmung mit sich und passt so gar nicht zum anderen Umfeld. Die Eltern, Geschwister, Omas und Opas ziehen sich alle hübsch an. Das überrascht mich auch jedesmal wieder aufs Neue. Aus welcher Ecke holen plötzlich diese Menschen all die hübsche Kleidung, wenn ich mir ihre Wohnsituation betrachte?



Ich beobachte die jungen Eltern, wie junge Papas und Mamas mit dem Handy liebevoll und stolz ihre Kinder fotografieren. Wie bei uns zu Hause. Zu Beginn der Zeremonie marschieren die angehenden Schulkinder in unser Kinderhaus (in dieser 40 qm Blechhütte sitzen bzw. stehen bereits über 50 Erwachsene und Kinder, draußen 38 Grad, es ist wie in der Sauna!), wo sie von allen empfangen werden. 


Zunächst singen alle zusammen die Nationalhymne Namibias, auch alle unsere Kinder! Ich staune und denke an Germany ..."Auferstanden aus Ruinen ...", ach nein, das war einmal (Scherz!) - jetzt heißt das ja: " Einigkeit und Recht und Freiheit ..." Wann, wo und wer singt unsere Hymne mit diesem Stolz???

Die Lehrerin ist gekommen und erzählt mir, dass es in der Schule sechs 1. Klassen geben wird mit je 40 Kindern und das sie unsere 12 "nachgekauften" Kinder auf die 6 Klassen verteilt haben. 40 Kinder pro Klasse? Ich frage natürlich sofort nach, ob das nicht zu unruhig ist und wie das so mit der Disziplin ist? Sie grinst. Natürlich fällt es anfangs den Kindern schwer still zu sitzen (das hat Toini mit unseren Kindern trainiert, grins, das weiß ich ...) aber im Großen und Ganzen sind die Kinder wohl sehr wissbegierig. Das Problem ist wohl ehr, dass einige Kinder manchmal im Unterricht einschlafen! Das wundert mich nicht, wenn ich an unsere abendliche Fahrt durch die Townships oder wie ich es formulierte, den "Campingplatz" und an all die Kinder, die da noch umherhüpften, denke.Ich vereinbare mit der Lehrerin sie im März zu besuchen, wenn einige aus unserem Lionsclub und ich wieder im Land sein werden.
 

 
Zurück zur Zeremonie: nach der Hymne singen die Kinder noch ein paar Lieder, dann verteilt Toini jeweils eine Urkunde mit dem Prüfungsergebnis. Prüfung? Ja, Toini hat mit den Kindern eine Prüfung absolviert. Das ist hier normal. Die besten Beiden dürfen auch zu erst nach vorne kommen und tragen als einzige einen roten Talar! Jedes Kind bekommt laut vorgelesen, wieviel Punkte es erreicht hat. Ich stelle mir gerade die gleiche Situation in Deutschland vor. Datenschutz!? Diskriminierung !!

 

 
Danach hält Elifas im Auftrag unserer Mitarbeiter eine kleine Dankesrede. Er bedankt sich bei allen Unterstützern aus Deutschland und bei Salome. Ja, Salome, man kann dieser weißen Frau nicht genug danken, was sie hier alles für uns Vorort leistet. Ich bin so froh, dass sie die Lebensmittellieferung, die Lohnzahlung und alle sonstigen Erledigungen für uns tätigt. Und sie macht es so gerne und mit soviel Herz! Sie spendet selbst viel. So hat sie z.B. vor Kurzem unseren Kindern ein "Tisch-Fussball" organisiert!

 

Wir beiden verstehen uns richtig gut. Und so unterstützt sie mich auch bei meiner kleinen Rede, die ich halte! Ich auf deutsch, sie auf englisch!



Und dann ist es also so weit. Unsere Überraschung! Wir übergeben die Schultaschen! Die Eltern und Gäste freuen sich augenscheinlich zuerst mehr als unsere Kinder. Unsere Kinder wirken irgendwie mit allem überfordert. Erst später beobachte ich einzelne Kinder, wie sie mit ihren Eltern ihre neue Schultasche inspizieren. Erst später sehe ich die Freude in ihren Augen. Dann kommen manche auf mich zu, sagen nichts, nehmen meine Hand und lächeln mich an.



Elifas hat für alle ein "Festmahl" gekocht. Eine Art Kartoffelsalat mit Unmengen an Mayonaise und Milch, dazu Reis, Nudeln und gegrillten Hühnchenklein. Zuerst bekommen die Kinder, dann die Erwachsenen. Dafür hat Elifas extra 4 Mädels organisiert, die die Teller geordnet verteilen. Ich beobachte, wie manche unserer Kinder mit ihren kleinen Geschwistern den Teller teilen. Elifas macht die Teller wieder voll und jedesmal frage ich mich, wie diese Menge in so einen kleinen Bauch passen kann. Zum Abschluss gibt es Torte, ganz in den Lionsfarben blau-gelb. Wir haben sicherheitshalber 2 große Torten bestellt, weil wir nicht einschätzen konnten, wieviel kommen würden. Und Enrico hat die Tortenstückchen erst mal klein geschnitten, damit auch jeder ein Stückchen bekommen würde. Die Verteilung übernehmen wieder die 4 Mädels! Die Mädels passen genau auf, wer schon hat und nicht hat, denn manches Essen und Tortenstück wandert in mitgebrachte Plastikdosen in die Tasche. 




Am Ende war über eine halbe Torte übrig und ich kam auf die blöde Idee zu fragen, wer denn noch ein 2. Stückchen haben möchte. Saublöde Idee, denn plötzlich stürmen gefühlt 50 Kinder und Erwachsene auf unseren Tisch zu. Enrico schneidet ganz kleine Stückchen und fängt an zu verteilen. Wir brechen ab! Zu groß ist das Gedränge und wir beschließen, die restliche Torte unseren Mitarbeitern Toini, Elifas, Johanna und Salome zu geben, die bisher noch gar nix gegessen haben. 

Besonders gefreut habe ich mich, dass Herr Bethuel T. meiner Einladung gefolgt und gekommen ist. Ich weiß, daß er als Mitglied des namibischen Nationalrates (zu vergleichen mit Bundestagsabgeordneter) viel zu tun hat. Er engagiert sich und hilft uns bei der Grundstückssuche. Und nun kenne ich auch den Grund! Er hat nämlich selbst mal hier in den Townships gelebt, hier sind seine Wurzeln und er weiß, um die Sorgen und Nöte dieser Menschen.



Es gäbe noch so unendlich viel zu schreiben. Aber ich habe euch schon genügend beansprucht, hier vielleicht ein paar letzte Gedanken: Jeder Besuch hier in Namibia bringt mich den Menschen näher, immer wieder lerne ich dazu, fange an zu verstehen. Es bereichert mich und zeigt mir auch, was Wohlstand und Reichtum anrichtet. Ich beneide teilweise diese Menschen für ihre Bescheidenheit. Dort spüre ich nicht das Gefühl von "Mehr", "Mehr", "Mehr" ... sondern den Genuss und die Freude des Augenblickes. 

Danke an Euch für Euer Interesse! Für heute schließe ich erstmal dieses Tagebuch.