Ich muss noch sehr viel lernen im Umgang mit den hiesigen Menschen!

Heute schreibe ich euch wieder Mal aus Namibia, heute nicht vom kalten Meer, wie letzte Woche, sondern vom sehr heißen Norden Namibias. Ich liege gerade im Zelt, lausche den Gesängen der Vögel aus den Bäumen und Büschen um mich herum, genieße noch die Kühle des Morgens, habe alle Fenster geöffnet und sehe, wie die Sonne am Horizont allmählich "Guten Morgen" sagen möchte. Ich weiß, dass aktuell in Deutschland der Winter wieder zurück gekehrt ist und genieße deshalb umso mehr die Wärme der ersten Stunden des Tages. Am Mittag ist es hier im Norden so heiß, dass Du Kopfschmerzen bekommst und schlapp und müde bist.


Wir sind am Wochenende dem Kinderhaus entflohen, um eine kurze Safari durch den Norden und dem Nationalpark zu machen. Man braucht nach einer anstrengenden Arbeitswoche im Kinderhaus einfach mal den emotionalen Abstand. Es gibt wie überall Höhen und Tiefen und die größten Probleme schaffen wir uns selbst  (und vielleicht besonders ich) mit unserer deutschen Ungeduld. Dazu kommen sprachliche Missverständnisse, andere Denkensweisen und Kulturen der Menschen hier und der deutsche Drang, in kurzer Zeit alles bis aufs letzte Durchorganisieren und perfekt haben zu wollen. Nein, das geht nicht. 

Das haben wir, das habe ich diese Woche wieder gelernt. Was wir vorschlagen und sagen, wird erst mal bejaht, dankbar angenommen und dann doch nur in Teilen oder gar nicht umgesetzt. Die Menschen haben hier ihren eigenen Kopf und man kommt nur durch ständige Wiederholungen und ganz kleinen Schritten vorwärts. Hier mal ein Beispiel. Der Unterricht im Kinderhaus beginnt jeden Tag etwas chaotisch, weil es Elifas und Monika nicht schaffen, dass alle Kinder vom Spielplatz und Frühstückstisch rechtzeitig in ihrem Klassenraum sitzen. Und so verschiebt sich täglich der eigentliche Unterrichtsbeginn von 8.40 Uhr nach hinten, weil die Hälfte der Kinder fehlt. Wir beschließen alle zusammen, daß die Kinder spätestens 8.20 Uhr sich draußen vor der Tür sammeln, in eine Reihe stellen und gemeinsam in den Raum gehen, um gemeinsam beginnen zu können. Das fanden alle eine tolle Idee und es klappte auch Montag und Dienstag und dann nicht mehr. Ich frage am Ende der Woche "Warum?" und stelle fest, dass es Monika und Elifas schlicht weg spätestens am Mittwoch wieder vergessen hatten. Und solche Beispiele häufen sich immer wieder im Laufe der Woche. Das frustriert. Deshalb braucht man manchmal einfach die Natur, den Balsam für die Seele, um sich wieder neu zu motivieren.
Ein anderes Beispiel. Letzte Woche wundert sich Elke, warum bei einem kleinen 6jährigen Jungen aus unserem Kinderhaus so viele Fliegen am Hintern kleben. Er selbst scheint es im emsigen Toben und Spielen gar nicht gemerkt zu haben. Beim näheren Hinsehen sah und vorallem roch sie den Grund. Der Kleine hatte in die Hosen gekackt. Was nun? Hier gibt es keine Wechselwäsche. Elke beschließt also kurzerhand den Kleinen nach Hause zu bringen, damit die Mutter ihn waschen und umziehen kann. Gute Idee! Sie ist froh, dass sie helfen kann und läuft liebevoll und naiv mit dem kleinen "Scheißerchen" nach Hause, freut sich die Mutter an zu treffen und freut sich auf ein "Dankeschön". Aber alles kommt anders. Die Mutter sieht die Bescherung, wird sauer, wettert auf oshiwambo wildes Zeug und versohlt dem Kleinen den Hintern. Elke ist geschockt. Andere Kultur, andere Erziehung! Später denke ich, unsere Mutter hätte uns früher auch den Hintern versohlt, wenn wir mit 6 Jahren beim Spielen vergessen hätten, rechtzeitig aufs Klo zu gehen. Unsere Mutter hatte keine Waschmaschine und musste alles mühevoll mit der Hand waschen. Und unsere Mutter hatte im Gegensatz zu dieser Mama einen Wasserhahn zum Aufdrehen und musste nicht täglich das Wasser an der vielleicht weit entfernten Wasserstelle holen.

 
Aber wir hatten diese Woche auch einige echt positive Erlebnisse. Zum Beispiel der Elternabend. Wir hatten angeregt, doch einmal einen Elternabend zu organisieren, um den Eltern zeigen zu können, was die Kinder lernen und um sich auszutauschen. Das fanden die Lehrer eine tolle Idee. Am Freitag beschlossen, wurde dieser Montag gleich durch geführt. Ich dachte noch, ist das nicht zu kurzfristig für die Eltern? Wenn ein Lehrer in Deutschland am Freitag die Eltern für Montag einlädt, würde es aber Beschwerden hageln. Und das ganz ohne Muttiheft, sondern nur über Mund zu Mund Propaganda und teilweise whatsapp. In Vorbereitung dieses Abends bitte ich die Lehrer am WE auf zu schreiben,  was es für Probleme gibt (Pünktlichkeit, Sauberkeit mancher Kinder etc.) und sich einen kleinen Ablauf aus zu denken. Die Lehrer bestehen darauf, dass die Kinder mit zu diesem Elternabend kommen sollen. Ich bin eigentlich dagegen, weil ich denke, was soll das werden, wenn all die wilden Kinder noch dazwischen rumspringen, akzeptiere aber die Entscheidung, denn das habe ich mittlerweile gelernt. Ihr Land, ihre Kinder, ihre Kultur!
Und was soll ich euch sagen. Der Abend war für mich das positivste Erlebnis seit langem. Es kamen zu meiner Überraschung sehr viele Vatis und Muttis, trotz Kurzfristigkeit und trotz Arbeit (denn mittlerweile sind einige Eltern berufstätig). Alle versammelten sich auf unserer großen Veranda und unsere neuen Sitzbänke, die nun auch von den Eltern eingeweiht wurden! Zu Beginn sang man gemeinsam die Nationalhymne, betete und beide Lehrer erzählten sehr ausführlich über die Schule, alles in 2 Sprachen...erst auf Englisch, dann auf oshiwambo...so war schnell 1 Stunde vergangen. Ich staunte über die Disziplin der meisten Kinder. Danach öffneten die Lehrer den Klassenraum und baten die Kinder mit dem jeweiligen Elternteil nach einander hinein. Der Raum war fein geputzt, auf den Bänken lagen jeweils das große Schulheft, in dem alle Arbeiten des Kindes gesammelt waren und ich war überrascht,  wie interessiert und stolz die Mütter und Väter sich gemeinsam mit ihrem Kind das volle Heft ansahen. Jetzt verstand ich erst, warum die Kinder mit sollten. Sie zeigten ganz stolz, was sie alles geschafft haben. Monika und Elifas gingen von Tisch zu Tisch und erklärten, was das Kind gut und was es noch nicht so gut kann. 


 

 



Ich beobachtete das Ganze von einer dunklen Ecke des Raumes und hatte ein echt gutes Gefühl. Da knieten oder standen Muttis und Vatis neben ihrem Kind und sahen sich ganz akribisch das Heft an. Überrascht haben mich die Fragen und Anregungen der Eltern. So z.B. ein Vater, der vorschlug, dass man auf einem Stück Papier schreiben sollte, was das Kind zu Hause noch üben muss. Eine Mutter fragte, warum ihr Kind manchmal ohne Jacke oder Schuhe nach Hause käme und bat die Lehrer, doch besser darauf zu achten. Aber sowohl Elifas als auch Monika entgegneten, dass sie das teilweise tun, aber dass das Kind lernen muss, auf seine Sachen selbst auf zu passen. Ich dachte gleich an den täglichen "Schuhsalat" vor dem Tramboline.
Nachts ist es mittlerweile hier schon sehr kalt und unsere Kinder husten sehr viel und haben dick zu geschmierte,  verrotzte Nasenlöcher. In Deutschland würden wir den Kindern Taschentücher hinterher tragen, aber hier nehmen die Lehrer immer wieder kurzerhand den Pulloverärmel des Kindes zum Abwischen.
Morgen geht es wieder für uns weiter. Wir hatten Glück und im Nationalpark viele Tiere gesehen, vorallem Elefanten. Im Gegensatz zu meinen Mitreisenden fotografiere ich nicht mehr, sondern genieße es, die Tiere so nah im Einklang mit der Natur beobachten zu können. Und morgen ist auch unser vorletzter Tag und ich freue mich sehr, dass Herr Bethuel vom Nationalrat zu Besuch kommt. Trotz seines vollen Terminkalenders nimmt er sich die Zeit, unser Kinderhaus zu besuchen. Ich lerne viel von ihm. 

 Mein Freund Bethuel mit Elifas, Monika und mir.

Er ist kein großer Redner, aber eine große Motivation, da er mir immer wieder erklärt, wie wichtig unsere Arbeit hier ist. Wenn ich manchmal etwas demotiviert bin, weil sich die "Problemchen" häufen, schreibe ich ihm und er erklärt mir die Menschen seines Landes. Seit der Befreiung von der Apartheid versuchen die Menschen hier hoch zu kommen. Nicht einfach! Denn nun kommt noch folgende neue Schwierigkeit hinzu. Die Abwanderung von gebildeten, weißen Kindern aus Namibia.Vorletzte Woche war ich bei einer Farmhochzeit. Dort waren sehr viele in Namibia geborene Weiße, alle so in meinem Alter, deren Kinder Ende 20, Anfang 30 sind und nach Deutschland oder Holland ausgewandert sind. Die Urgroßeltern sind einst nach Südwestafrika ausgewandert und  nunmehr wandern deren Kindeskinder, auf Grund fehlender, gut bezahlter Arbeitsplätze wieder in die Urheimat zurück. Man erzählte mir, dass man die Auswanderkinder mit Kusshand in Deutschland und Holland nehme, weil sie so eine gute Schulbildung auf den teuer bezahlten Privatschulen Namibias genossen haben. Und somit mangelt es bereits jetzt schon in Namibia an Fachkräften. 

Ich mache am Abend noch ein letztes Foto vom märchenhaften Horizont! Dann gehts wieder gen Heimat nach Deutschland