"Mir schossen die Tränen!...Ich habe mir das die letzten Jahre und Monate etwas zu schön geredet."
4.September 2024
"Was macht unser Kinderhaus in den townships von Okahandja?"
Ihr erinnert euch, unsere neue kleine Vorschule haben wir Anfang des Jahres eröffnet! Der Anfang war sehr holprig.
1. Die Mitarbeiter hatten zu viele Kinder angenommen. Fast 40% zu viel!!! Das galt es zu bewerkstelligen, da wir es nicht übers Herz bringen konnten, einigen Kindern zu sagen: Du darfst nicht kommen. Nun bin ich also gespannt, sind die Mitarbeiter der Sache Herr geworden?
2. Im Laufe der ersten Wochen haben wir unser Mitarbeiterteam von 3 auf 5 erweitert. Das Team musste sich nun erst mal finden. Schwieriger als gedacht, weil die Charaktere, das Temperament und die eigenen Ansprüche an die Arbeit der 5 Mitarbeiter sehr unterschiedlich sind. Haben sie es trotzdem geschafft?
3. Alle mussten sich an das neue moderne Gebäude gewöhnen. So absurd wie es klingt. Davor saßen alle Kinder und Lehrer in zwei kleinen Blechhütten. Nun plötzlich hohe, helle Räume! Große Wandflächen mit viel Platz für Anschauungsmaterial! Ungewohnte Akkustik! Daran mussten sich erst mal alle gewöhnen. Denn die Kinder kehren ja nach 5 Stunden im Kinderhaus wieder zurück zu ihren engen, niedrigen, dunklen Blechhütten. Die Kinder waren teilweise damit überfordert. Sie wirkten für mich wie wild gewordene, teilweise unbeherrschbare Kinder. Ist das nach fast 8 Monaten noch immer so?
Ich war sehr gespannt und aufgeregt, als ich am Mittwoch zu unserem Kinderhaus fuhr. Der erste Schock war unser Zaun. Stacheldraht oben, Stacheldraht unten und unsere Eingangstorflächen von oben bis unten voll mit Stacheldraht. Oh je. Das fühlt sich an, als betrieben wir ein Kindergefängnis. Aber die ersten Monate zeigten uns, dass das notwendig war. Nachmittags sprangen die großen Kinder über den Zaun und ruinierten unsere Spielgeräte, nachts versuchten Menschen immer wieder in unser Lebensmittellager am Kochhaus zu kommen. Und so gab es nur diese Möglichkeit, verbunden mit einem Großscheinwerfer, der nachts, dank Solar, den gesamten Hof beleuchtet, alles zu sichern.
Es ist an diesem Mittwoch noch keine 8.00 Uhr. In Namibia geht der Winter zu Ende. Frühs sind es noch unter 10 Grad, welche sich im Laufe des Tages auf über 30 Grad steigern. Dementsprechend sind um diese Zeit die Kinder oft sehr erkältet. Die Kinder freuen sich immer, wenn ich komme, springen mir freudvoll entgegen und kletten sich an meine Arme und Beine. Als ich den ersten Schwung Kinder los bin, sehe ich auf meinem Shirtärmel und meiner Hose überall den Rotz hängen. Da wusste ich, ich bin wieder in der anderen Welt angekommen.
Nicht nur die Kinder auch die Mitarbeiter freuen sich herzlich über unser Wiedersehen. Die ersten innigen Umarmungen fühlen sich unglaublich gut für mich an.
Mich begleitet diesmal Kevin Recknagel (28). Er ist nicht das erste Mal dabei. Der Lionsclub will junge Menschen gewinnen, die das Projekt in unserem Sinne irgendwann weiter führen und Kevin ist mit viel Engagement und Herz dabei, in Deutschland so ein junges Team aufzubauen.
Die ersten Stunden am Mittwoch verbringen wir nur mit beobachten. Wie funktioniert alles? Und was soll ich sagen, es funktioniert viel besser als ich vermutet hätte. Kein Vergleich zum Anfang des Jahres. Alles wirkt gut organisiert und aufgeräumt. Und das nicht nur am ersten Tag. Nein, auch zum Ende der Woche muss ich sagen, unsere Mitarbeiter sind ein Team geworden, die zu hohe Kinderzahl wird beherrscht und alle haben sich an die neuen Räume gewöhnt. Kevin und ich freuen uns riesig. Damit hätten wir nicht gerechnet.
Das gibt uns die Zeit endlich einmal mehr in die Tiefe zu gehen. In die Tiefe? Ja, zu erfahren, woher kommen unsere Kinder.
Bisher kannte ich nur die Lebensumstände unserer Mitarbeiter und meiner Freundin Toini. Aber wie leben unsere Kinder, wo kommen sie her? Kevin möchte dazu einen kleinen Film produzieren.
Donnerstag und Freitag haben wir neben organisatorischen Sachen für das Kinderhaus damit verbracht, mit Müttern und Elternpaaren zu sprechen und teilweise durften wir diese nach Hause (also in ihre Blechhütten) und sogar eine Mutter mit zu ihrer Arbeit begleiten. Ich muss euch ehrlich sagen, am Freitag konnte ich meine Tränen nicht mehr zurück halten. Da musste ich an meine Lionsfreundin Cordula Dobrunz denken, die im November 2021 abends in Okahandja im Hotel saß und bitterlich anfing zu weinen, nachdem sie den ersten Tag in den townships war. So ging es mir am Freitag. Ich konnte es nicht mehr aufhalten. Die Tränen schossen. Was für einzelne Schicksale und Geschichten?!
Jaqueline, Herero Frau, ihr Mann arbeitet als Soldat und ernährt davon alle 12 Familienmitglieder, sie backt nebenbei Brot und verkauft dieses an der Straße.
Agnes, alleinerziehend, hat studiert, wohnt wegen des Kindes bei ihrer Mutter und Schwester, arbeitet in einem Hinterhof als Computer-Trainerin von 10-17.00 Uhr für 1.500 NAD (75 €), davon ernährt sie die gesamte Familie.
Elina, Witwe, hatte einen Schlaganfall, bekommt eine kleine Sozialrente von 80 € und muss damit sich und ihre beiden Kinder durchkriegen.
Herr und Frau Gerson, er ist Straßenarbeiter, aber zur Zeit ohne Job, sie leben (nein sie hausen) in einer viel zu engen Hütte, ihr Hab und Gut besteht gefühlt nur aus Sachen von der Müllhalde.
Wenn man den einzelnen Familien so nah kommt, dann macht das was mit einen. Ich habe mir das die letzten Jahre und Monate etwas zu schön geredet. Jetzt wo man mal genauer hinschaut und doch einzelne Lebensgeschichten hinterfragt, bekommen diese Menschen noch mehr meine Bewunderung. Ja und die Realität ist hart und macht wütend. Warum? Warum müssen auf dieser Welt und im 21. Jahrhundert Menschen immer noch so leben?
Und ich bewundere auch diese Menschen für ihre Zurückhaltung. Nicht eine/einer von den Menschen hat die Situation genutzt und uns angebettelt. Keiner! Aber Kevin und ich haben trotzdem fast jedem einen kleinen Kleidungsbeutel und Geld gegeben, als dank für ihre Bereitschaft, uns in ihre Welt zu lassen.
Und nun ein paar Videos von unseren Kindern und Mitarbeitern. So beginnt der Morgen. Toini sammelt unterwegs die ersten Kinder ein:
Hier unser Elifas in Aktion. Ihr seht, die Wände hängen voll mit Anschauungsmaterial:
Wir mussten nun die beiden kaputten Schaukeln deinstallieren. Sie waren von den vielen Kindern zu sehr beansprucht worden. Dafür haben wir Hängematten mit einer Traglast von 300 kg aufgehangen. Mal sehen, wie lange sie halten:
Mit den Kleinsten wird mehr gespielt als gelernt. Dabei ist Duplo der Renner. Vorallem für die Mädchen: